Linus Reichlin, in Ihrem neuen Roman „Der Hund, der nur Englisch sprach“ gerät der Held Felix in ein turbulentes Abenteuer, nachdem er einen uralten LSD-Trip einwirft und bald darauf einem sprechenden Hund die Tür öffnet. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Roman?
Die Idee war erst mal nur, einen Roman zu schreiben, in dem ein kleiner, frecher Hund vorkommt. Daraus hat sich dann die Geschichte wie von selbst entwickelt. Das Buch hat sich sozusagen selbst geschrieben, das habe ich zum ersten Mal auf diese Weise erlebt. Für mich als Schriftsteller war das sehr angenehm, denn ich musste nicht lange rumschrauben und an den Figuren rumdenken: Ich musste nur die Finger auf die Tasten legen. Es war, wie wenn man ein schwieriges Ottolenghi-Rezept nachkochen will und das Gericht sich dann im Wesentlichen selber kocht. So macht der Job Spaß!
In Ihren Romanen geht es immer wieder um die engen Grenzen unserer Wirklichkeitswahrnehmung. Ein komplexes Thema, dem Sie sich auch in diesem Roman wieder mit viel Humor nähern. Wie schaffen Sie diese Balance zwischen philosophischen Fragestellungen und Unterhaltung?
Ja, es geht um Einbildung. Unsere Überzeugungen, Wünsche, Vorlieben und Abneigungen basieren mehr oder weniger auf Einbildungen verschiedenster Art – die aktuelle neurologische Forschung lässt keinen anderen Schluss zu. Das finde ich deprimierend: Wie soll man das Leben ernst nehmen, wenn wir es dauernd durch die Brille der Einbildungen betrachten? In dieser deprimierenden Situation ergibt sich der Humor ganz von selbst. Wirklich tief empfundener Humor entspringt eben der Einsicht, dass wir uns tragischer Weise grundsätzlich irren, wenn wir in irgendetwas einen Sinn erkennen - hier wird Humor zum Rettungsring. Oder zum Ersatz für die Flasche.
Felix und der fluchende Jack Russell Hobo begeben sich auf eine irrwitzige Reise, die sie schließlich nach Florida führt. Haben Sie vor Ort recherchiert und wie kamen Sie darauf, den Roman dort spielen zu lassen?
Was mich an Florida fasziniert ist, dass man sich auf der Straße von Miami nach Naples solange in der High-Tech-Zivilisation befindet, wie man auf der Straße bleibt. Sobald man einen Schritt von der Straße nach links oder rechts macht, muss man damit rechnen, in den Sümpfen von einer schwarzen Mamba gebissen zu werden. Oder man sitzt in einem spießigen Vorort auf dem Kunstrasen eines Einfamilienhäuschens und schaut auf einen Kanal, in dem Alligatoren auf Beute warten. Mit anderen Worten: Florida ist ein Ort, an dem die Grenzlinie zwischen Einbildung und Realität sozusagen besichtigt werden kann. Selbst das Wetter ist purer Kontrast: Bis 14.00 superheiß und sonnig, danach gießt es aus Eimern.
"Die Welt, die unser Gehirn wahrnimmt, ist größtenteils eine Konstruktion des Gehirns. So etwas wie eine "wahre" oder "reale" Welt gibt es nicht, und Programme wie ChatGTP und andere künstliche Intelligenzen – und kleine sprechende Hunde wie Hobo! – machen uns genau darauf aufmerksam." Linus Reichlin
Durch die aktuell rasanten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz haben Debatten um Echtheit und Wahrheit zugenommen. Auch in Ihrem Roman weiß Felix nicht, wem er trauen soll und der sprechende Jack Russell Hobo könnte das Ergebnis von AI sein. Wie wichtig waren Ihnen diese aktuellen Bezüge für Ihren Roman?
Ja, darum geht es in dem Roman: Wenn es schwierig wird, zu unterscheiden, ob ein menschliches Gehirn oder ein Algorithmus ein Gedicht geschrieben hat, müssen wir dazu übergehen, Wahrheit als etwas Subjektives zu betrachten, das wir uns möglicherweise nur einbilden. Und so ist es ja auch: Die Welt, die unser Gehirn wahrnimmt, ist größtenteils eine Konstruktion des Gehirns. So etwas wie eine "wahre" oder "reale" Welt gibt es nicht, und Programme wie ChatGTP und andere künstliche Intelligenzen – und kleine sprechende Hunde wie Hobo! – machen uns genau darauf aufmerksam.
Felix und der sprechende Hund Hobo werden nach anfänglichen Streitereien zu einem eingespielten Duo. Was würden Sie machen, wenn ein fluchender Jack Russell vor Ihrer Tür stünde?
Ich würde genau das denken, was Felix Sell in dem Roman denkt: Dass ich entweder a) halluziniere, oder dass der Hund b) der Prototyp eines neuartigen Sprachprogramms ist, das Hunden implantiert wird. Das ist es, was ich daran so interessant finde: Früher hätte man unweigerlich gedacht, dass man, wenn man einen Hund sprechen hört, verrückt ist. Aber heutzutage hat man noch eine alternative, technische Erklärung dafür, die sehr plausibel ist.
Musik ist immer wieder zentraler Bestandteil Ihrer Romane, beispielsweise in „Keiths Probleme im Jenseits“. Auch jetzt stößt der Held beim Sortieren seiner Plattensammlung auf den LSD-Trip – und viele Erinnerungen an wildere Zeiten. Wie beeinflusst Musik Ihr Schreiben?
Ein guter Rocksong besteht in der Regel aus drei simplen Akkorden. Die Folge E-Dur, A-Dur, H-Dur ist die Basis für tausende großartiger Songs, und sie hat das Lebensgefühl einer Generation geprägt. Die belletristische Literatur strebt tendenziell eher das Sinfonische an. Mein Schreiben ist also insofern von der Folk- und Rockmusik beeinflusst, als ich eben eher ein E-A-H-Schriftsteller bin. Das hat aber nichts mit der sogenannten "Popliteratur" zu tun, sondern damit, dass mir beim Spazieren keine Song-Melodien einfallen, sondern Geschichten. Und wenn's gut läuft, sind es E-A-H-Geschichten.