Dr. Peter Krumme, Literaturwissenschaftler an der Uni Heidelberg und langjähriger Berater des Autors
Warum existiert das Genre "Spionageroman" in Deutschland bislang nicht?
Das hängt vielleicht mit den historischen Bedingungen zusammen, unter denen die beiden deutschen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind. Es dauerte eine ganze Weile, bis wieder Geheimdienste aufgebaut waren, und die hatten nicht die Befugnisse und die Macht wie etwa die Geheimdienste der USA, der Sowjetunion, Großbritanniens oder Israels.
Geheimdiensten steht man zudem in Deutschland bis heute vermutlich mit noch größerem Misstrauen und weniger Patriotismus gegenüber als in anderen Ländern, und wenn man an deren Arbeit denkt, dann stellt man sich eher ein miefiges Beamtenmilieu und wenig intelligente Agenten vor, die grundsätzlich Probleme mit dem Recht bzw. Rechtsstaat haben, aber gleichzeitig zutiefst überzeugt von ihrer eigenen Wichtigkeit sind.
Vorstellungen von Glamour oder einem abenteuerlichen Leben, die Stoff für Romane geben, lassen sich damit kaum verbinden. So haben sich vielleicht auch Schriftsteller hierzulande nicht besonders für dieses Genre interessiert.
Sind Die Unscheinbaren für Sie mehr Familien- oder eher Spionageroman?
Für mich zeigt der Roman vor allem, was die Agententätigkeit mit der Familie macht und mit welchen lächerlichen Kleinigkeiten sich erwachsene Menschen im Kalten Krieg in Geheimdiensten beschäftigt haben. Das gilt weniger für das Ehepaar selbst, das sich als Agenten anwerben lässt, als für all die anderen in der DDR und in der Bundesrepublik, die in irgendeiner Weise dienstlich damit befasst sind.
Es ist ein Verdienst des Romans, jegliche Agenten-Romantik oder Elemente eines Thrillers, der solche Tätigkeiten letztlich als "cool" darstellen würde, vermieden zu haben. Ob Spionage und deren Bekämpfung im Kalten Krieg jemals irgend einen Nutzen für die beteiligten Länder und vor allem für in ihnen lebenden Menschen gebracht hat, kann man sich nach der Lektüre des Buches kaum mehr vorstellen. Der Roman versucht, diese ernüchternde Sicht ein wenig zu relativieren, wenn er andeutet, dass Agententätigkeit in späterer Zeit auch der Terrorismusabwehr galt und gilt.
Hat das Buch für Sie ästhetische Bezüge zu anderen Romanen?
Zwar bin ich kein Experte für zeitgenössische Literatur, aber mir scheint, dass das Buch allgemein bekannte Spionageromane (bzw. -filme) als Kontrastfolie heranzieht, um deutlich zu machen, dass es hier um etwas ganz anderes geht. Besonders aufgefallen sind mir einmal die ironischen Anspielungen auf James Bond, der sicher für viele Leser oder Kinogänger das Bild eines Geheimagenten geprägt hat. Dieses Bild wird mit dem Roman humorvoll zur Seite geschoben, da die Agenten, von denen hier die Rede ist, so ziemlich das Gegenteil eines James-Bond-Lebens führen oder als Menschen und Charaktere auch nur entfernt an ihn erinnern – siehe zum Beispiel das Kapitel 007 jätet Unkraut.
Zum anderen denke ich an eine Stelle, wo ein pensionierter Mitarbeiter des BND überlegt, einen Roman im Stile von John le Carré zu schreiben, etwas wie Der ewige Gärtner. Obwohl es in dem Roman nicht mehr um den Kalten Krieg geht, sondern um das Engagement für Flüchtlinge und den Kampf gegen Machenschaften von Pharma-Konzernen, wird doch deutlich, dass Die Unscheinbaren auch mit solchen "Vorbildern" wenig zu tun hat und haben will. Es geht offenbar nicht darum, eine packende, an exotischen Orten spielende Handlung mit hohem moralischen Pathos zu präsentieren, sondern eine ganz andere, weniger glamouröse, aber durchaus auch spannende Geschichte über den Sinn und Unsinn von Agententätigkeit sowie deren "Kollateralschäden" für einzelne betroffene Menschen zu erzählen.