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Zwischen Fakt und Fiktion: Der Weltreporter

 

Ein nachgebautes München im Dschungel, ein Gespräch mit einem Yeti auf dem Mount Everest und ein Eingang zur Ewigkeit, in dem Buddha, Christus und Mohammed Karten spielen

 

 

 

»Die wichtigste Frage hast du mir aber gar nicht gestellt«, sagte Bodo.
»Nämlich?«
»Ob das, was wir in Holzmann’s Weltspiegel schreiben,
auch wahr ist.«
»Und? Ist es wahr?«
»Jedes Wort«, sagte Bodo.

Hannes Stein ist mit seinem neuesten Roman „Der Weltreporter“ ein Geniestreich gelungen: verrückt phantastisch ausgedacht und zugleich realistischer als jede Tageszeitung. Nebenbei lehrreich, in der Hauptsache höchst vergnüglich.  Ein raffinierter Schelmenroman, todernst und urkomisch zugleich. Für mich: lebendige Literatur!                        

- WOLF BIERMANN

Ein Buch, das es in sich hat! … So atemberaubende wie aberwitzige Geschichten … dazu noch prophetisch und  brillant  … philosophisch und geschichtlich untermauert … eine Lust zu lesen. Münchhausen lässt grüßen, aber 1001 Nacht auch …                   

- MARION BRASCH (RBB Radioeins)

 

Im Januar 2020 hat Hannes Stein das Manuskript zu seinem Roman "Der Weltreporter" abgegeben, als an die gegenwärtige Pandemie und die Abwahl eines gewissen amerikanischen Präsidenten noch nicht zu denken waren. Erschreckend prophetisch ist daher sein Episodenroman, der inmitten einer durch eine Pandemie in den Lockdown getretenen Welt spielt. 

Ein Kapitel des Episodenromans spielt in Amerika, wo Hannes Stein selbst auch lebt und schreibt. Darin ist der höchst bizarre, blondierte amerikanische Präsident mit dem orangenen Gesicht schon lange abgewählt und mittlerweile auch tot. Er ist der erste Präsident, dessen Name aus den Geschichtsbüchern getilgt, aus den Monumenten herausgemeißelt und aus den Archiven gelöscht wurde. Nur ein Indianerstamm, die Diné, trotzt in unverbrüchlicher Treue dem Vergessen und feiert diesen Mann noch immer als einen Helden.

In der aktuellen Ausgabe der ZEIT bespricht Rezensent Thilo Adam besonders dieses Kapitel aus Steins „hellsichtig-irrer Fiktion“

Zum Artikel: Wenn fantastischer Quatsch Wirklichkeit wird

Weil wir Sie bis zum Erscheinen des Buches in drei Wochen am 11. Februar nicht länger auf die Folter spannen wollen, stellen wir das Kapitel exklusiv zum Download zur Verfügung. 

Ein aus dem Gedächtnis gelöschter Ex-Präsident

Donald und die Diné
PDF 412 kB

Sindbad der Seher, Sindbad der Fahrer

Im Selbstinterview stellt sich Hannes Stein knallharten Fragen.

F: Herr Stein, Sie haben einen neuen Roman geschrieben …
A: Das gebe ich zu, ja.

F: Wie kommen Sie dazu? Wo nehmen Sie die Chuzpe her, sich auf dieselbe Bühne zu stellen, auf der ein Nabokov gestanden hat? Eine George Eliot? Ein Grimmelshausen? Ein Kafka?
A: Das frage ich mich auch jedes Mal. Meine Entschuldigung ist, dass ich dieses Mal eine neue literarische Form erfunden habe.

F: Aha?
A: Ja. Mein erster Roman, „Der Komet“, war eine Uchronie. Eine Was-wäre-gewesen-wenn-Geschichte. (Was wäre gewesen, wenn der Erzherzog Franz Ferdinand lebendig aus Sarajewo zurückgekehrt wäre, es also keinen Ersten Weltkrieg gegeben hätte?) Mein zweiter Roman – „Nach uns die Pinguine“ – war eine Detektivgeschichte über eine Leiche in einem verschlossenen Raum. (Angesiedelt allerdings in einer postapokalyptischen Welt.) Beides nur mäßig originell, vom Blickwinkel des Genres her gesehen. Uchronien gab es ja schon vorher, und Detektivgeschichten auch. Aber der „Weltreporter“ …

F: Nun?
A: … ist ein Episodenroman, der aus lauter bunt erlogenen Reisereportagen besteht.

F: Und das nennen Sie neu? Gemogelte Reisereportagen, das gibt’s doch schon seit Karl May.
A: Gewiss, aber nicht solche! Mein neuer Roman entführt die geneigte Leserin nicht in den Wilden Westen, sondern nach Utopia. Und in ein Restaurant, in dem eindeutig die Grenzen des guten Geschmacks verletzt werden. Und in die Münchner Rätemonarchie …

F: Bitte wohin?
A: In den brasilianischen Dschungel, wo Ludwig VII. – ein schwarzer Nachfahre des berühmtesten Bayernkönigs – gerecht und weise über eine Gemeinschaft von Anarchisten regiert.

F: Verstehe. Es handelt sich um einen postmodernen Roman.
A: Nein, um einen vormodernen! Mein Modell waren die Geschichten von Sindbad dem Seefahrer. Aus den Geschichten von Sindbad stammt auch das Motto, das ich dem Ganzen vorangestellt habe: „So ließ ich mich denn dahintreiben auf jenem Strome, bald durch weite, bald durch enge Höhlungen im Gestein.“ Die Form des Romans ist klassisch orientalisch. Eine große, reich verzierte Schachtel außenrum – drinnen dann kleine Schachteln, ebenfalls reich verziert – und in manchen der kleineren Schachteln verbergen sich noch wieder kleinere. Denken Sie an die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht.

F: Also haben Sie doch keine neue Form erfunden.
A: Neu ist, dass meine Märchen als Parodien daherkommen. Parodien auf literarische Reportagen – eine journalistische Form, die ich sehr liebe. Wahrscheinlich kann man nur das gut parodieren, was man liebt.

F: Die größte Schachtel – um bei Ihrer etwas klobigen Metapher zu bleiben –, also die Rahmenerzählung von „Der Weltreporter“ ist eine Liebesgeschichte.
A: Ja. Boy meets girl. Oder genauer, Mann mittleren Alters trifft junge Frau. In einer Bar. Während draußen Ausgangssperre herrscht. Wir befinden uns nämlich mitten in einer Seuche.

F: Dann haben Sie den Roman also im Hauruck-Tempo nach dem Ausbruch von Covid 19 in den Laptop gehackt?
A: Keineswegs. Als ich das Manuskript abgab, kannte ich weder das Wort „Corona“, noch hatte ich je von der Stadt Wuhan gehört.

F: Dann sind Sie also ein Hellseher?
A: Nein, nur jemand, der sich ein bisschen in der Geschichte auskennt und weiß, wie sehr Seuchen ihren Verlauf beeinflusst haben. Die Vereinigten Staaten – mein Vaterland – würde etwa ohne die Malariamücke und ohne das ebenfalls von Mücken übertragene Gelbfieber gar nicht existieren. Übrigens ergibt die Seuche, die ich in „Der Weltreporter“ schildere, wissenschaftlich überhaupt keinen Sinn. Euer Dr. Christian Drosten würde wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Meine Seuche stammt nicht aus dem Reagenzglas, sondern aus einer berühmten Schauergeschichte von Edgar Allen Poe: „Der rote Tod“.

F: Warum schildern Sie überhaupt eine Seuche?
A: Ich brauchte sowas wie ein apokalyptisches Hintergrundrauschen für meine Liebesgeschichte. Allerdings spielt die Seuche für den Plot des Romans dann doch eine entscheidende Rolle. Aber das stellt sich erst ganz am Schluss heraus.

F: Die vorletzte Reise des Romans – wir wollen nicht zuviel verraten – malt die Vision einer Erde aus, auf der es keine Menschen mehr gibt. Sie haben es wohl mit den Weltuntergängen?
A: Das können Sie so sehen, ja. Mein erster Roman handelt vom Weltuntergang, der nicht stattgefunden hat: Das grauenhafte XX. Jahrhundert fällt aus. In meinem zweiten Roman haben wir den Dritten Weltkrieg schon hinter uns. In diesem Roman ist der Weltuntergang zu etwas Alltäglichem geworden, zu etwas, an das man sich gewöhnt hat wie ans Wetter.

F: Herr Stein, sind Sie ein Optimist oder ein Pessimist?
A: Das weiß ich nicht. Ich kann es wirklich nicht beantworten. Ich habe versucht, einen Roman zu schreiben, der alles zusammen ist – zum Schreien komisch und abgrundtief verzweifelt, furchtbar traurig und so leicht, dass er über jede Traurigkeit einfach hinwegschwebt. Ob mir das gelungen ist, können nur meine Leserinnen beurteilen.

F: Warum reden Sie eigentlich immer von Leserinnen? 
A: Weil ich Realist bin. Männer und Romane? Ich rechne nicht mit männlichen Lesern.

Zuerst veröffentlicht bei den Salonkolumnisten

Die zwölf Reisen von Bodo von Unruh  

  • ERSTE REISE: Die Münchner Rätemonarchie

Ein originalgetreu nachgebautes München der Räterepublik, allerdings im lateinamerikanischen Regenwald. Als ob das noch nicht genug wäre, regiert dort außerdem ein direkter, schwarzen Nachfahren Ludwigs II.

  • ZWEITE REISE: Das Restaurant am Ende der Welt 

In China beweist ein verschollen geglaubter Starkoch beim wohl exklusivsten Restaurantbesuch aller Zeiten, wo die Grenzen des guten Geschmacks in Wirklichkeit verlaufen.

  • DRITTE REISE: Eine Stadt namens Utopia 

Im toten Winkel des kommunistischen Russlands existiert ein hochmodernes, KI-gesteuertes Utopia. Geld und Arbeit wurden hier schon längst abgeschafft, man lebt ohne Mangel, divers und der eigenen Persönlichkeit entsprechend. Doch jede Utopie hat ihren Preis, und sei dieser die Wertberechnung eines Menschenlebens durch den Computer.

  • VIERTE REISE: Die Geschichte von Cardenio

Die Wissenschaft hat festgestellt: Shakespeare war nicht nur eine Frau, sondern auch noch Italienerin. Als das verschollene Stück Cardenio auftaucht, in dem auch Don Quijote und sein Schildknappe auftreten, muss mehr als nur ein bisschen die Geschichte umgeschrieben werden.

  • FÜNFTE REISE: Die Eidgenossenschaft 

Im Hochland Afghanistans organisieren sich die Terroristen doch etwas anders als vermutet, nämlich eng an ein unwahrscheinliches Vorbild angelehnt, die Schweiz. Geiselnahmen, Erpressungen und Geldübergaben werden mit einer Effizienz abgewickelt, wie sie einer globalisierten Welt nicht besser entsprechen könnten.

  • SECHSTE REISE: Yael Maerisira

Einer radikal nationalistischen israelischen Schriftstellerin im Rollstuhl beschert ausgerechnet ihre Verbindung von afrikanischer Erzähltradition und hebräischer Moderne literarischen Weltruhm.

  • SIEBTE REISE: Donald und die Diné 

Der bizarre, blondierte Präsident mit dem orangenen Gesicht ist schon lange tot, sein Name aus den Geschichtsbüchern getilgt, aus den Monumenten herausgemeißelt und aus den Archiven gelöscht. Nur ein Indianerstamm, die Diné, trotzt in unverbrüchlicher Treue dem Vergessen und feiert diesen Mann noch immer als einen Helden.

  • ACHTE REISE: Die Suche nach dem transzendentalen Orgasmus 

Ein als Guru verkleideter Guru lehrt seiner begeisterten Anhängerschaft, ohne Berührungen, allein Kraft der Gedanken Orgasmen hervorzurufen. Sein Versprechen zieht auch einen Mann an, der die Definition eines hoffnungslosen Falles verkörpert.

  • NEUNTE REISE: Auf dem Gipfel der Verzweiflung 

Was wohl die größere Halluzination ist: Die urige Gipfelhütte auf dem höchsten Berg der Welt mit allen Annehmlichkeiten touristischer Standards, oder doch das Gespräch mit dem singenden Yeti während des Aufstiegs?

  • ZEHNTE REISE: Deutschland, Du Blondes, Bleiches 

Eine mythische Burg im Landkreis Passau, auf deren Türmen einträchtig die Reichs- und die DDR-Flagge wehen. Der Burgherr: Schweinezüchter, entlassener Universitätsprofessor, jetzt Publizist. Zugleich Adoptivvater von zehn indonesischen Flüchtlingskindern und radikaler Bewahrer einer deutschen Geschichte, die ehemalige Gewissheiten und Gegensätze durch Besinnung auf die eigenen Ahnen für obsolet erklärt.

  • ELFTE REISE: Atlantis 

Aus dem australischen Outback wird der größte archäologische Fund der Geschichte gemeldet: Ein Smartphone, älter als der Mensch, zumindest nach allen bisherigen Annahmen. Bei den leuchtenden Zeichnungen an der Höhlendecke kann es sich dementsprechend nur um die globalen Flugrouten der Atlanter halten.

  • ZWÖLFTE REISE: Dein Freund Harvey  

An der Himmelspforte sitzen Jesus, Mohammed, Moses, Krishna, Siddhartha und ein weißer Hase. Sie spielen Karten, lesen Kaffeesatz, zanken und sind sich uneins, was wohl „danach“ kommt.

Der Weltreporter

Haarsträubend komisch, auf erschreckende Weise prophetisch und zugleich schneidend realistisch, ein Feuerwerk der Phantasie und sokratischen Weltweisheit: Als hätten Stanislaw Lem, P. G. Wodehouse, Arno Schmidt und Wolf Haas zusammen einen Roman geschrieben.

Nein, eigentlich wollte sich Julia Bacharach gerade gar nicht verlieben. Nicht in einer fast leeren Hotelbar in diesen Umständen (draußen ist gerade Lockdown und wegen einer Epidemie kommen nur die wenigen herein, die immun sind) und erst recht nicht in einen Typen wie Bodo von Unruh. Aber sie ist unvoreingenommen und neugierig und er reist für ein Magazin um die ganze Welt und recherchiert Geschichten, die bewusstseinserweiternder wirken als die besten Drogen – z.B. zu einem sagenumwobenen, mit völlig neuartigen Geschmackssensationen aufwartenden Restaurant, in das man nur auf Einladung kommt – und nachdem man vertraglich versichert hat, blind den Anweisungen des Personals zu folgen, egal was passiert. Über eine jahrzehntelang vergessen Stadt in Sibirien, die rein kybernetisch gesteuert wird, und in der ausschließlich die für das Gemeinwohl besten Entscheidungen getroffen werden. Über Nachfahren der Münchner Räterepublik, die ihre anarchistischen Ideale im brasilianischen Dschungel leben und und und.

Mit der Zeit bemerkt Julia, dass mit Bodo irgendetwas nicht stimmt. Durch seine grandiosen Geschichten gelingt es ihm aber immer wieder, sie in seinen Bann zu ziehen.

Ein Roman über die Kraft des Erzählens, Fakt und Fiktion, über echte Schlaraffenländer und falsche Paradiese, über die Liebe und über den Tod, der uns am Ende alle erwartet.
Gebundene Ausgabe 22,00 €
E-Book 18,99 €

Hannes Stein, geboren 1965 in München, aufgewachsen in Salzburg, lebt jetzt als Korrespondent für die Welt in New York. Er schrieb für die FAZ und den Spiegel. Im Sommer 2007 ist er nach Amerika ausgewandert. Bei Galiani Berlin erschienen von ihm die Romane »Der Komet« (2013), »Nach uns die Pinguine« ...

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