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Herzlichen Glückwunsch! Nele Pollatschek erhält den Förderpreis Komische Literatur 2024

Nele Pollatschek Autorenfoto
Urban Zintel

Bisher von Nele Pollatschek erschienen: Das Unglück anderer Leute (2016), Dear Oxbridge (2020), Kleine Probleme (2023). 

Nele Pollatschek hat den Förderpreis Komische Literatur zum Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor 2024 erhalten. Die mit 3000 Euro dotierte Auszeichnung wird auf Vorschlag von Verlagen gemeinsam von der Stiftung Brückner-Kühner und der Stadt Kassel verliehen. Die Kasseler Sparkasse unterstützte auch diesmal großzügig den Förderpreis. Nele Pollatschek konnte sich gegen rund 40 weitere eingereichte Vorschläge durchsetzen. Der Stiftungsrat zeigte sich in seiner Eigenschaft als Jury begeistert vom Komik-Talent der Autorin. Der Förderpreis wurde am 9. März 2024 im Kasseler Rathaus gemeinsam mit dem Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (an Joachim Meyerhoff) vergeben.

Wir freuen uns sehr für und mit Nele Pollatschek und sind dankbar für diese schöne Anerkennung! 
 

Die Laudatio von Lektorin Esther Kormann auf Nele Pollatschek zum Kassler Förderpreis für grotesken Humor am 9. März 2024

Sehr verehrte Preisträger, sehr geehrter Oberbürgermeister Dr. Schoeller, sehr geehrter Stiftungsrat, verehrte Jury des Kassler Literaturpreises für grotesken Humor, liebes Publikum,

als Lektor von Romanen geht es einem oft so ähnlich wie dem Autor dieser Romane: Man lebt mit den Figuren, die der Autor erschaffen hat. In meinem Fall ist es so, dass sich seit ungefähr 2 Jahren, besser gesagt: seitdem ich zum ersten Mal Nele Pollatscheks Roman „Kleine Probleme“ gelesen habe, in meinem Kopf ein mittelalter Mann namens Lars Messerschmitt angesiedelt hat - Familienvater, 49 Jahre alt, angehender Schriftsteller, oft allein zu Hause.

Ich lebe gewissermaßen seit geraumer Zeit mit einer Art Kopf-Lars. Und immer wenn irgendwas passiert, spricht Lars jetzt mit.

Als wir, also der Kopf-Lars und ich, im letzten Herbst die Nachricht erhielten, dass unser Autor Nele Pollatschek den Förderpreis für grotesken Humor erhalten wird, waren wir beide ziemlich aus dem Häuschen.

Vor allem Lars wiederholte wieder und wieder: „Von wegen: ‚Humor - schwierig‘. Und weil Lars zu ausführlichen Gedankenschleifen neigt, legte er mir dann ausführlich dar, warum sein Lieblingsliteraturagent Erol sich ja wohl auf dem Holzweg befand, als er ihm erklärte, dass heute „kein Schwein“ mehr Bücher haben wolle, die unterhaltsam sind und zugleich gebildet. 

Ich will das hier nicht im Einzelnen wiedergeben, sondern kurz zusammenfassen: Lars und ich, wir beide sehen diesen Preis, den Nele Pollatschek heute hier erhält, genau wie den großen Erfolg ihres Romans „Kleine Probleme“, als triumphierenden Beweis an dafür, dass die Guten am Ende doch gewinnen werden, und dass es Leser und Sachverständige gibt, die Literatur, wie wir sie aus ganzem Herzen lieben, schreiben (Lars) und verlegen möchten (ich), für auszeichnungswürdig befinden.

Dafür danken wir Ihnen sehr. 

Als wir, also mein Kopf-Lars und ich, dann erfuhren, dass ich die Laudatio auf Nele Pollatschek halten würde und dafür nur 8 Minuten Zeit bekomme, wurde ich ehrlich gesagt sofort panisch. Ich wollte schon rufen: Unmöglich! Aber Lars, dieser Superheld im Kampf gegen den Uhrzeiger, meinte:  „Kein Problem. Ich weiß, wie das geht: Wir machen Dir eine To-Do-Liste mit den drei wichtigsten Punkten, und Du hakst sie nacheinander ab. Ich schlage vor:

  1. Steuererklärung
  2. Nudelsalat
  3. Lebenswerk

Dann hast Du alles. Aber dir bleiben, nachdem du mich vorgestellt hast, natürlich nur noch 5 Minuten.“

Genau an diesem Punkt sind wir jetzt: Humorförderpreis-Laudatio Nele Pollatschek in 5 Minuten, also.

Ich fange an mit der Steuererklärung

Der Förderpreis für grotesken Humor wird, das wissen evtl. nicht alle, nicht für einen einzelnen Roman vergeben, sondern für das Gesamtwerk des Autors -  selbst wenn der Autor noch so jung ist. Erst dadurch ist das Preisgeld nämlich steuerfrei.

Ich werde deswegen hier jetzt nicht nur von Nele Pollatscheks aktuellem Roman schwärmen, sondern ihr gesamtes Schaffen würdigen.

Beginnen wir mit ihrem Debüt:

„Warum sind eigentlich alle in unserer Familie bekloppt?“ - durch diese Frage, die der 15jährige Eli seiner älteren Schwester Thene in Nele Pollatscheks Roman „Das Unglück anderer Leute“ stellt, wird meines Wissens die in der Weltliteratur schlüssigste, geistreichste und lustigste Argumentationskette zu der Frage ausgelöst, warum manche Familien dysfunktionaler sind als andere, oder, mit Eli gesprochen, warum die Konzentration von bekloppten oder irgendwie meschuggenen Menschen in manchen Familien besonders hoch ist.

In dieser Gedankenkette geht es um Verrücktheitsgrade, Rorschachtests, Statistische Verteilung, Willensfreiheit, den Odenwald, Wurmlöcher, schwarze Löcher, Gravitation, Raumschiffe, fremde Galaxien, Anziehungskräfte und stabile Orbits. Man wird auf einen flirrenden Gedankenflug mitgenommen, mit grandiosen Zwischenerkenntnissen, die man nie mehr vergessen wird, wie ich bspw.: „Man muss schon selber bekloppt sein, um es mit Bekloppten auszuhalten.“ 

Und man will nie wieder aufhören mitzufliegen.

Schon in ihrem Debüt zeigt sich, was für Nele Pollatscheks Schreiben und die Art ihres Humors absolut charakteristisch ist: Ihre Bücher sind aufs herrlichste gefüllt mit den überraschendsten Gedanken, Analysen und Anspielungen. Nele Pollatschek jongliert meisterhaft mit allem, was man so an spannenden Dingen aus Filmen, Literatur, Physik, Mathematik, Ratgebern, Naturwissenschaft und Philosophie wissen kann.

Ihre Romane sind außergewöhnlich vielschichtige und vielgesichtige Werke.

Sie kommen leichtfüßig und unterhaltsam daher. Doch sind sie am Ende vor allem eins: hochintellektuelle Gedankenspiele, die immer aufs Neue um das Rätsel der Existenz kreisen.

Nele Pollatschek ist ein Virtuose des intellektuell überaus anregenden Humors, der seine Leser mit der Lust am Denken ansteckt. Wenn man einmal damit infiziert wird, will man im Grunde immer wieder Nele Pollatschek beim Denken beobachten dürfen.

Liebe Zuhörer, mir geht es wie Lars, jetzt habe ich grad erst den Punkt Steuer abgehakt – eigentlich ja Steuervermeidung, und die Zeit rast / nur noch 2 Minuten.  

2. Nudelsalat.

Eine der Aufgaben, die Lars in dem Roman „Kleine Probleme“ erledigen muss, ist der Nudelsalat (Familienrezept) für die Silvesterparty. Es ist kurz vor Mitternacht und Lars stellt leider fest, dass er keine einzige Zutat für den Nudelsalat im Haus hat – nicht einmal Nudeln.

Doch Lars gibt nicht auf, eine Planänderung folgt der anderen, Macgyvermäßig ersetzt er nach und nach alle Zutaten – und am Ende hat er dann wirklich: den perfekten Nudelsalat.

Dieses Kapitel zeigt eine zweite Eigenschaft von Nele Pollatscheks Humor: Sie analysiert die Dinge, von denen sie erzählt, stets glasklar. Zugleich aber verzaubert sie sie. Selbst eine so alltägliche Sache wie Nudelsalatherstellung unter ungünstigen Voraussetzungen dient dazu, die menschliche Existenz mit einem geheimnisvollen Glanz zu umgeben: Humor ist bei diesem Autor eine Haltung dem Leben gegenüber, die darauf abzielt es gerade nicht seines Geheimnisses zu berauben. Gleichzeitig geht es mir hier genauso wie Juli Zeh: Das Kapitel ist auch deswegen eins meiner Lieblingskapitel, weil es von der Macht des kreativen Geistes erzählt, dem es immer gelingen kann sich den äußeren Zwängen zu entziehen und seine Freiheit zu bewahren.

Als Leser fühlt man sich nach der Lektüre dieser Romane geradezu darin angestachelt, sich dem Leben in all seiner Vergeblichkeit und Widersprüchlichkeit fröhlich entgegen-zuschmeißen.

Sie sind Balsam für die Seele aller klugen Zweifler.

Ok: Nudelsalat: Check, noch 45 Sekunden.

3. Lebenswerk

Auch wenn Nele Pollatschek noch jung ist, gibt es von ihr bereits viele, außergewöhnlich gute Texte: Da sind ihre Promotion über die Theodizee und das Böse im Viktorianischen Roman, ihr genialer Essay Dear Oxbridge, ihre zwei Romane, ihre klugen und treffenden Artikel im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung (Stichworte: Deutscher Reporterpreis 2022, Kulturjournalistin des Jahres 2023).

Bei einem so jungen Autor liegt der größte Teil des Lebenswerks aber ja noch in der Zukunft. Was wir bereits jetzt wissen, ist, dass es ein Werk werden wird, in dem jemand sehr klar, gebildet, ganz ohne jedes Geländer auf so überraschende Weise nachgedacht haben wird, dass seine Leser ins Lachen und manchmal auch Weinen geraten werden. Ein Werk, das sie immer wieder lesen wollen.  

Lars und ich, wir rechnen mit dem besten Lebenswerk der Welt.

 

 

Zur Pressemeldung der Stiftung Brückner-Kühner

Nele Pollatschek bei Galiani Berlin

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