Interviews

Stefanie Gerhold im Gespräch über "Das Lächeln der Königin"

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Ihre Schönheit ist zeitlos, ihre Entdeckung eine Sensation: die Büste der Nofretete. In ihrem Debütroman Das Lächeln der Königin erzählt Stefanie Gerhold vom kolonialen Grabungsrausch in Tell el-Amarna, dem Aufstieg und Fall des jüdischen Bürgertums in Berlin und den flirrenden Hoffnungen der Zwanzigerjahre. Im Gespräch erzählt Stefanie Gerhold, wie sie auf das Thema kam, welche Schieflagen sie mit ihrem Roman geraderücken möchte und was uns auch heute noch an der Nofretete so fasziniert. 

Stefanie Gerhold, in Ihrem Roman Das Lächeln der Königin erzählen Sie von der Entdeckung der Nofretete-Büste in Tell el-Amarna und dem jüdischen Finanzier der Grabungen, James Simon, der die Büste später dem Neuen Museum in Berlin geschenkt hat. Wie kamen Sie auf dieses spannende Thema?

Den Anreiz gab mir eine Ausstellung im Neuen Museum in Berlin anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Fundes der Nofretete-Büste. Man erfuhr sehr viel über die Stadt Tell el-Amarna, aber sehr wenig über den eigentlichen Fund der Büste und dessen Hintergründe – gerade genug, dass meine Neugierde geweckt war. Von den politischen Dimensionen dieser Geschichte ahnte ich zu dem Zeitpunkt noch nichts.

Wir lernen James Simon zunächst als erfolgreichen Textilunternehmer kennen, der in der Berliner Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Er gründet soziale Einrichtungen und spendet den Museen unzählige Kunstschätze. Aber wir erleben auch seinen wirtschaftlichen Niedergang nach dem Ersten Weltkrieg, den immer stärker werdenden Antisemitismus. Was faszinierte Sie an ihm?

James Simon hat unglaublich viel für Berlin getan, war selbst aber sehr bescheiden. Selbstlosigkeit ist die Eigenschaft, die in Verbindung mit seinem Namen häufig fällt. Ich habe mich gefragt, was es mit dieser Selbstlosigkeit auf sich hat. Was steht dahinter? In der Gründerzeit wurde das jüdische Bürgertum für Deutschland zu einer enormen wirtschaftlichen und kulturellen Kraft, aber seine gesellschaftliche Stellung entsprach dem in keiner Weise. Das ist eine eklatante Schieflage, und ich frage mich, inwieweit hinter der Selbstlosigkeit auch eine Art Selbstschutz stehen könnte. Wenn das so wäre, müssten wir uns heute umso mehr darum bemühen, diese Menschen endlich ins Licht zu rücken und zu würdigen. Ich sehe meinen Roman als einen Beitrag in diese Richtung.

Die Umstände, unter denen die Büste der Nofretete Deutschland zugesprochen wurden, sind umstritten. Nach ihrem Fund vergingen zwölf Jahre, bis sie 1924, also vor genau 100 Jahren, zum ersten Mal öffentlich in Berlin ausgestellt wurde. Seitdem gibt es Streit um ihren Verbleib, und neuerdings werden die Rückgabeforderungen sogar lauter. Wie stand James Simon zu diesem Thema?

Vorhin sprach ich von der Zurückhaltung, die James Simon ausmachte. Für ihn gehörte es zum Verständnis als Mäzen, sich in inhaltliche Fragen nicht einzumischen. Bei der Büste der Nofretete konnte er sich aber schließlich nicht mehr zurückhalten. Sie hat ihn gegen Ende seines Lebens aus der Reserve gelockt, und James Simon bezog in einem offenen Brief Stellung. Ich will nicht zu viel verraten, aber diese Wortmeldung, die einen bis heute beim Lesen erschüttert, ist gewissermaßen der Fluchtpunkt meines Romans. Ich hatte ihn beim Schreiben immer vor Augen.

Bei der Lektüre taucht man ein in die hoffnungsvolle Gründerzeit, in die zerrissenen Zwanziger Jahre in Berlin, die wachsenden antisemitischen und nationalistischen Stimmungen in Deutschland, und man bekommt auch viel von Ägypten mit, das den kolonialen Interessen der Europäer ausgeliefert ist. Wie sind Sie bei der sicher sehr aufwändigen Recherche vorgegangen?

Ich habe sehr viel gelesen. Zu all den genannten Bereichen gibt es sehr gute Bücher. Stellvertretend nenne ich die Aufbereitung der Akten aus dem Streit um die Nofretete-Büste, die die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy veröffentlicht hat, oder die umfassenden Studien über das jüdische Bürgertum des Historikers Götz Aly. Meine Aufgabe wiederum war es, diese Aspekte erzählerisch zusammenzubringen. Zum Beispiel fand ich irgendwann heraus, dass der Bruder des Archäologen Ludwig Borchardt, des Entdeckers der Büste, der damals ungeheuer erfolgreiche Schriftsteller Georg Hermann war. Von da an las ich nicht nur die Romane Georg Hermanns anders, in denen viel über das Milieu des jüdischen Bürgertums zu erfahren ist, sondern auch die Fachtexte von Ludwig Borchardt über Ägypten. Die beiden verbindet ein ähnlicher Humor.

Sie haben sich dem Thema literarisch angenähert (haben Ihren ersten Roman daraus gemacht), und Sie haben lange daran geschrieben. Was waren für Sie die wichtigsten literarischen Erkenntnisse, die das Buch zu dem gemacht haben, was es jetzt ist?

Meine Arbeit als Schriftstellerin beginnt dort, wo die Recherche endet. Ich ziele auf genau die Fragen, für die es keine gesicherten Antworten gibt. Die Welt in ihrer Komplexität erfahrbar zu machen, für mich ist das die große Leistung der Literatur. Das unterscheidet meine Figur des James Simon auch von einer biografischen Annäherung an seine Person. Sie löst sich ab von den Fakten. Mir diese Freiheit zu nehmen, ist mir zunächst schwergefallen. Das hat mich beim Schreiben gehemmt. Ich hatte dann das Glück, mit einer sehr erfahrenen Lektorin zu arbeiten, Angelika Klammer. Sie hat mich ermutigt, meiner Vorstellungskraft zu vertrauen und sie auch auszukosten. Das ist nicht Willkür, sondern literarische Notwendigkeit.

Bis heute ist die Nofretete eines der bekanntesten Exponate der Berliner Museumsinsel. Was glauben Sie fasziniert uns auch heute noch an der Büste der Königin?

Die Büste der Nofretete gilt als Ikone, und wir leben in einer Zeit der Bilder. Wir gieren nach Ikonen. Abgesehen davon ist sie frappierend gut erhalten. Das ist mir noch einmal aufgefallen, als ich sie kürzlich wieder im Neuen Museum besucht habe. Wenn man den Raum betritt, in dem sie steht, will man nicht glauben, dass diese quasi intakte, in ihrer Farbigkeit so prachtvolle Büste dreieinhalbtausend Jahre im Sand gelegen haben soll. In dem Raum ist Fotografieren verboten, und ich stelle immer wieder fest, dass das etwas mit den Leuten macht. Sie können nicht einfach ein Selfie mit Nofretete machen und das damit abhaken. Sie müssen sich ihr aussetzen, ihrer Vollkommenheit, ihrer Schönheit. Wobei ich glaube, dass uns vor allem die Spannung, die in diesem Porträt liegt, bannt: Wir sehen ihre Schönheit, aber auch ihre Verletzlichkeit. Ihre hohe Krone gibt dieser Königin ihre Erhabenheit, aber sie ist auch ein Mensch. Und da ist dieses kaum sichtbare Lächeln …

Stefanie Gerhold, geboren 1967, wurde bekannt als Übersetzerin für spanischsprachige Literatur, unter anderem der Werke von Max Aub und Elsa Osorio. 2023 bekam sie für ihre Übertragung des Stücks Himmelweg von Juan Mayorga den Eurodram-Preis. Sie schreibt Essays zu interkulturellen Themen und hat bei Deutschlandfunk Kultur das Hörspiel Come Back ...

Zur Autorin

Das Lächeln der Königin

Ihre Schönheit ist zeitlos, ihre Entdeckung eine Sensation – die Büste der Nofretete. 1913 gelangt sie nach Berlin und wird für den Mäzen der Grabungen, James Simon, zum Triumph. Doch bald werden Rückgabeforderungen laut. Stefanie Gerhold erzählt vom kolonialen Grabungsrausch in Tell el-Amarna, jüdischem Bürgertum in Berlin und den flirrenden Hoffnungen der Zwanzigerjahre.

Nach bangen Wochen des Wartens gelangt die Nofretete-Büste endlich in die Hauptstadt, auf den Schreibtisch von James Simon. Der jüdische Mäzen kann kaum glauben, dass der Fund Berlin zugesprochen wird. Simon, erfolgreicher Textilunternehmer, genießt hohes Ansehen in der Berliner Gesellschaft. Er gründet soziale Einrichtungen und stiftet den Berliner Museen unzählige Kunstschätze. Aber die Büste der Nofretete überstrahlt alles. Sogar Kaiser Wilhelm II. stattet James Simon einen Besuch in seiner Villa ab, um sie zu sehen.

Doch der verlorene Erste Weltkrieg, aufkommender Nationalismus und die Krisen der Weimarer Republik setzen James Simon schwer zu. Als die Nofretete 1924 erstmals im Neuen Museum ausgestellt wird, bricht ein erbitterter Streit zwischen Ägypten, Frankreich und Deutschland aus. Wohin gehört sie wirklich? Und während Berlin seine neue Königin und mit ihr den Glanz einer bedeutenden Entdeckung feiert, verliert James Simon im Siegeszug nationalistischer und antisemitischer Propaganda zunehmend an Einfluss. 

Gebundene Ausgabe 23,00 €
E-Book 19,99 €
  • Verlag: Galiani-Berlin
  • Erscheinungstermin: 08.02.2024
  • Lieferstatus: Verfügbar
  • 288 Seiten
  • ISBN: 978-3-86971-298-7
  • Autor*innen: Stefanie Gerhold