Interviews

Bruno Preisendörfer über sein neues Buch

Foto des Autors nebst Cover seines Buches
© Susanne Schleyer

Zwölf weltverändernde Sätze: Woher sie kamen, wer sie verwendete, wie man sie instrumentalisierte

Es gibt diese Sätze, die wir alle kennen und verwenden – ohne je darüber nachzudenken, woher sie eigentlich kommen. Dabei geht es berühmten Zitaten oft wie literarischen Figuren: So wie diese ihren Herkunftsbüchern entlaufen, verlassen jene ihre Entstehungskontexte und beginnen bei ihrer, teilweise jahrhundertelangen, Wanderung durch die Köpfe der Menschen ein Eigenleben. Manche werden dabei fett vor Bedeutungen, die sie ursprünglich gar nicht hatten, andere magern bis zur Bedeutungslosigkeit ab. Doch immer hat es Folgen, wenn ein Gedanke außerhalb des geistigen Ökosystems, in dem er entstanden ist, weiterwandert und weiterwirkt.

Bruno Preisendörfer begibt sich auf eine erstaunliche und augenöffnende Spurensuche. Im Interview berichtet er von der spannenden Recherche zum Buch und gibt Einblicke in seine Arbeit als Autor. 

Herr Preisendörfer, die Sätze aus Ihrem Buch kennen und verwenden wir alle, aber wohl kaum jemand hat sich bisher Gedanken darüber gemacht, woher sie überhaupt stammen. Wie kamen Sie auf die spannende Idee, genau das zum Thema eines Buches zu machen?

Mir ist aufgefallen, dass philosophische Sätze oft wie Sprichwörter herumgereicht werden, als wären sie Kondensweisheiten. Sind sie aber nicht. Also schien es mir interessant, zusammen mit ihrer Herkunft auch ihre mentalen Verbreitungsgebiete darzustellen. Und das alles nicht in der akademisch üblichen geistes- und begriffsgeschichtlichen Perspektive, sondern mit Betonung darauf, dass Denken Handeln ist und Gedanken Taten sind.

Ihre letzten vier Bücher waren allesamt »Zeitreisen«, Sie haben uns mitgenommen zu Goethe, Luther, Bach und Bismarck, aufgezählt nach der Abfolge der Veröffentlichungen. Diesmal konzentrieren Sie sich stärker auf die philosophische Zeitgeschichte und reisen dabei von Sokrates bis Nietzsche. Haben Sie selbst einen Lieblingsphilosophen?

Einen Lieblingsphilosophen habe ich nicht, aber philosophische Lieblingstexte. In die Abhandlungen von Rousseau beispielsweise bin ich geradezu widersinnig verknallt, nicht, weil ich ihnen sachlich zustimme, das ist meistens gerade nicht der Fall, sondern weil sie so inbrünstig geschrieben sind. Persönlich möchte ich dem Verfasser dieser Texte aber lieber nicht begegnen. Das gilt auch für die anderen Denkhelden meines Buches. Ich ziehe den im doppelten Wortsinn erlesenen Kontakt dem persönlichen bei weitem vor.

Was war die erstaunlichste Erkenntnis, die Sie bei der Recherche erlangt haben  vielleicht, dass Rousseau »Zurück zur Natur« nie geschrieben hat?

Rousseau selbst hat sich gegen diese parolenhafte Verkürzung seines Denkens, für die sich in seinem Werk keine Textentsprechung findet, ausdrücklich gewehrt. Das war mir als Leser und Schreiber, der schon während der Studentenzeit viele Denk- und Mentalreisen ins 18. Jahrhundert unternommen hat, auch bewusst. Erstaunt hat mich, dass die »unsichtbare Hand«, die Parademetapher des liberalen Wirtschaftsverständnisses schlechthin, bei ihrem Urheber, dem Moral(!)philosophen Adam Smith, nur in zwei ganz beiläufigen Bemerkungen vorkommt.

»Man kann lernen, die Leute ausreden zu lassen, in diesem Fall eben die Philosophen. Um es kurz zu machen: Denken kann ganz schön lange dauern.« Bruno Preisendörfer

Ihr Buch endet mit Nietzsche  gibt es Zitate aus der jüngeren Vergangenheit oder Gegenwart, die in einer Neuauflage Ihres Buches in zweihundert Jahren untersucht werden sollten?

Sollte in zweihundert Jahren jemand auf die verrückte Idee kommen, Bruno Preisendörfer zu lesen, so sei die Art des Updates den Publikumsbedürfnissen der Zukunft überlassen – falls in zweihundert Jahren überhaupt noch irgendjemand irgendetwas von irgendwem liest und das nicht irgendwelchen Chatbots und anderen unnatürlichen Intelligenzen überlassen wird.

Man merkt bei der Lektüre, wie viel Freude es Ihnen macht, immer wieder gedanklich abzuzweigen und Exkurse zu teilweise kuriosen Aspekten zu unternehmen. Haben Sie für derlei Dinge einen extra Zettelkasten, wenn Sie an einem Buch arbeiten?

Ich habe keinen Zettelkasten, sondern ein Baugerüst in der wenig spektakulären Form eines Inhaltsverzeichnisses. Das Aufstellen dieses Gerüstes ist die erste und meist recht langwierige Arbeitsphase. Dann schreibe ich Kapitel für Kapitel, natürlich mit Rücksprüngen und Nachbesserungen, mit Erweiterungen und Streichungen. In dieser Zeit habe ich Leseverbot für alles (ausgenommen Tageszeitungen und Fahrpläne), was nicht mit dem jeweiligen Thema zu tun hat. Da brauche ich keinen Kasten, da genügt der Kopf. Weil diese Konzentrations- und Reduktionsphasen aber manchmal nicht mehr auszuhalten sind, lese ich gelegentlich heimlich vorm Einschlafen doch etwas anderes. Dann fühle ich mich so jung wie in dem Alter, als ich heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen habe. Damals wusste ich nicht, dass ich nicht wusste.

Was können wir aus der Beschäftigung mit der Geschichte wichtiger Zitate für unser Leben, für unsere Sicht auf die Welt lernen? 

Man kann lernen, vorsichtig zu sein und nicht alles zu glauben, was Leute über Leute sagen. Und man kann lernen, die Leute ausreden zu lassen, in diesem Fall eben die Philosophen. Weil Philosophen mitunter lange brauchen, bis sie ausgeredet haben, braucht man auch beim Mit-, Nach- und Hinterherdenken Geduld. Um es kurz zu machen: Denken kann ganz schön lange dauern.

Sätze, die die Welt verändern

Es gibt diese Sätze, die jeder kennt. Kein Wunder, dass sie unser Weltbild bis heute beeinflussen. Nur: Kaum jemand weiß, woher sie stammen, wie sie ursprünglich gemeint waren – und was ihnen im Laufe der Zeit zugestoßen ist. Bruno Preisendörfer begibt sich auf eine erstaunliche und spannende Spurensuche.

Berühmten Zitaten geht es oft wie literarischen Figuren: So wie diese ihren Herkunftsbüchern entlaufen, verlassen jene ihre Entstehungskontexte und beginnen bei ihrer jahrhundertelangen Wanderung durch die Köpfe der Menschen ein Eigenleben. Manche werden dabei fett vor Bedeutungen, die sie ursprünglich gar nicht hatten, andere magern bis zur Bedeutungslosigkeit ab. 

Manchmal richtet das kaum Schaden an, wie bei der Behauptung, über Geschmack ließe sich nicht streiten; die Konsequenzen können jedoch auch äußerst unheilvoll sein, wie bei Darwins »Überleben des Stärksten«; mitunter wird ein Satz auch einem Autor untergeschoben, obwohl der ihn nie geschrieben hat. Von wem stammt noch gleich »Zurück zur Natur« …?

Immer wieder schlägt Preisendörfer elegante Haken zu Kuriosem und Unerwartetem. So wird sein Buch zu einem ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Wunderding irgendwo zwischen philosophischem Handbuch, historischem Panoptikum und zeitdiagnostischem Essay.

Gebundene Ausgabe 25,00 €
E-Book 22,99 €
  • Verlag: Galiani-Berlin
  • Erscheinungstermin: 07.09.2023
  • Lieferstatus: Verfügbar
  • 336 Seiten
  • ISBN: 978-3-86971-256-7
  • Autor*innen: Bruno Preisendörfer

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